Veränderungen der Moosflora

Veränderungen der Häufigkeit (Urmi et al. 2007, Hofmann et al. 2007)

Herbarien
Die Anzahl gesammelter Belege einer Art wurde für
jede Dekade in Bezug gesetzt zu der allgemeinen
Sammeltätigkeit in dieser Zeit (vgl. Text).

Die Bestandesentwicklung von 42 Moosarten wurde anhand der gesammelten Herbarbelege im Zeitraum von 1850 bis 2000 ermittelt. Die Arbeit wurde von Urmi et al. 2007 in deutscher Sprache publiziert und eine gekürzte englische Version von Hofmann et al. 2007.

Vorgehen

Es wurden etwa gleich viele seltene, mittelhäufige und häufige Moosarten ausgewählt. Von den ausgewählten Moosarten wurden zunächst alle in der Schweiz vorhandenen Herbarbelege gesichtet und anschliessend die Fundangaben in die NISM-Datenbank eingegeben. Danach wurde für jede Art die Anzahl gesammelter Belege pro Dekade von Anfang 1850 bis Ende 1999 ermittelt. Weil nicht in allen Zeiten gleich viele Moose gesammelt wurden, kann man von der absoluten Anzahl gesammelter Belege nicht direkt auf Veränderungen der Häufigkeit einer Art schliessen. Hierzu muss man die Zahl gesammelter Belege in Bezug zur allgemeinen Sammeltätigkeit (Referenz) setzen.

Vergleich mit einer Referenz

Die allgemeine Sammeltätigkeit für Moose in der Schweiz wurde aus den Daten von 85 Moosarten ermittelt (die 42 untersuchten Arten und 43 weitere), von denen nahezu alle vorhandenen Herbarbelege in der Datenbank des NISM erfasst sind (total 10'520 Belege). Dieser Datensatz bildete die Referenz (oberes Diagramm) zu der die Daten der einzelnen untersuchten Arten in Bezug gesetzt wurden.
Dafür wurde für jede Dekade der prozentuale Anteil der Belege einer Art an der Referenz berechnet. Dieser Wert wurde als relative Sammeltätigkeit bezeichnet. Er ermöglicht eine Aussage über Veränderungen der Häufigkeit einer Art.
Im Beispiel von Dicranella heteromalla, dem Einseitswendigen Kleingabelzahnmoos, erweckt die absolute Belegzahl den Eindruck, dass die Art zugenommen haben könnte (mittleres Diagramm). Die relative Sammeltätigkeit zeigt jedoch klar, dass es kaum Veränderungen in der Häufigkeit dieser Art gegeben hat (unteres Diagramm).

Die Analyse geht von der Annahme aus, dass eine bestimmte Moosart bei einem zufälligen Sammeln immer gleich häufig gesammelt wird, wenn sich ihre Häufigkeit in der Natur nicht ändert und dass die Gewohnheiten der Sammler in den verschiedenen Zeiträumen vergleichbar zufällig waren.

Ergebnisse

 Die Analyse der 42 untersuchten Arten hat ergeben:

  • 4 Arten nehmen zu
  • 7 Arten sind stabil
  • 16 Arten weisen einen Rückgang auf
  • 15 Arten können nicht eindeutig beurteilt werden

Rund die Hälfte der untersuchten Arten zeigt eine deutliche Veränderung ihrer Populationen.
Die meisten Arten, darunter auch häufige, gehen zurück (38% - 16 Arten), nur ca. 10% (4 Arten) nehmen zu. Weitere 17% (7 Arten) der untersuchten Arten haben stabile Populationen und 36% (15 Arten) sind nicht eindeutig beurteilbar.

Ökologische Gruppen

Herbarien
Moose der nassen Standorte, wie Moore, Sümpfe
und Flussufer, sind in den letzten 150 Jahren
stark zurückgegangen.

Arten mit ähnlicher Ökologie wurden zu Gruppen zusammengefasst und anschliessend der Entwicklungstrend der verschiedenen Gruppen analysiert. Dabei hat sich gezeigt:

  • Waldmoose (11 Arten) keine Veränderung
  • Moose der Nass-Standorte (11 Arten) signifikanter Rückgang
  • Ackermoose (4 Arten) unklare Entwicklung

Häufigkeitsklassen

Ebenso wurden Arten mit ähnlicher Häufigkeit gemeinsam in Gruppen analysiert:

  • Seltene Moose (15 Arten) signifikanter Rückgang
  • Moose mittlerer Häufigkeit (15 Arten) signifikanter Rückgang
  • Häufige Moose (12 Arten) keine Veränderung

Ein Trend einer Gruppe bedeutet nur, dass die Gesamtheit aller Arten den jeweiligen Trend zeigt, nicht aber, dass auch alle Arten dieser Gruppe denselben Trend zeigen. Es ist also möglich, dass z.B. in der Gruppe der Waldmoose einzelne Arten zu- oder abnehmen, obwohl die Gruppe als Ganzes keine Veränderungen der Bestände zeigt.

 

Veränderungen der Häufigkeit (Urmi et al. 2007, Hofmann et al. 2007)

Beispiele

Die Resultate von drei Moosarten werden hier beispielhaft dargestellt. In den Diagrammen wird die Bestandesentwicklung der Arten in den letzten 150 Jahren in der Schweiz gezeigt. Sie ist dargestellt als relative Sammeltätigkeit und wurde für jede Dekade berechnet als prozentualer Anteil der Belege der jeweiligen Art an der Referenz. Der p-Wert gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der die Verteilung der Funde vor 1940 und nach 1940 zufällig ist. P-Werte unter 0.05 geben an, dass die Verteilung der Belege nicht rein zufällig ist, sondern ein gewisser Trend vorliegt.

Scapania nemorea Hain-Spatenmoos


Verwendete Belege 258, p = 0.518
Diagnose: keine Veränderung
Hintergrund: Scapania nemorea wächst meist in Wäldern auf verschiedenen kalkarmen Substraten (Felsen, Erde, totes Holz). Da es wenig spezifische Standortansprüche stellt, wurde es bisher in seiner Häufigkeit durch Umweltveränderungen nicht wesentlich beeinflusst.

Herbarien

Lophocolea heterophylla Verschiedenblättriges Kammkelchmoos


Verwendete Belege 382, p = 0.0002*
Diagnose: Zunahme
Hintergrund: Lophocolea heterophylla wächst ganz überwiegend in Wäldern auf totem Holz. Dieses Substrat war früher selten, weil das Totholz als Brennholz gesammelt wurde. Mit der Aufgabe dieser Nutzung etwa in der Mitte des letzten Jahrhunderts hat der Anteil an Totholz in den Wäldern deutlich zugenommen. Dadurch entstand mehr Lebensraum für Lophocolea heterophylla und die Art konnte sich vermehren. Ausserdem vermutet man, dass auch der saure Regen und der Nährstoffeintrag aus der Luft zur Zunahme von Lophocolea heterophylla beigetragen haben.

Herbarien

Grimmia crinita  Haar-Kissenmoos


Verwendete Belege 73, p = 0.013*
Diagnose: Abnahme
Hintergrund: Grimmia crinita wächst fast ausschliesslich an mit Mörtel verputzten Mauern in warmen Lagen (Weinberge). Da solche Mauern häufig durch leichter zu erstellende Betonmauern ersetzt werden, sind geeignete Standorte für dieses Moos selten geworden. Zur Erhaltung dieser Art ist es unbedingt nötig, mit Mörtel verputzte Mauern zu erhalten und ihren Bau zu unterstützen.

Herbarien

 

Literatur

Hofmann H., Urmi E., Bisang I., Müller N., Küchler M., Schnyder N., Schubiger C. 2007. Retrospective assessment of frequency changes in Swiss bryophytes over the last two centuries. — Lindbergia 32: 18-32. pdf
Urmi E., Schubiger-Bossard C., Schnyder N., Müller N., Küchler M., Hofmann H., Bisang I. 2007. Zwei Jahrhunderte Bestandesentwicklung von Moosen in der Schweiz. — Bristol Schriftenreihe 18: 1-139.


Autorin: H. Hofmann  1.2011